Mit der Klagemauer auf der World Press Photo

von Michael Sypien

Die KLAGEMAUER ( hebräisch: ha-kotel ha-ma´arawi, englisch: western wall oder wailing wall, arabisch: al buraq) stieg erst in osmanischer Zeit, also in der beginnenden Neuzeit, langsam zu seiner heutigen Bedeutung als Brennpunkt jüdischer Frömmigkeit in der Altstadt von Jerusalem auf. Viele der mächtigen Steinblöcke, aus denen die Mauer erbaut ist, bestehen aus dem Jerusalemer Meleke – Kalkstein, der einst am nördlichen Stadtrand gewonnen wurde.

Zur Zeit Jesu war die spätere Klagemauer der bedeutungslose westliche Abschnitt der von Herodes dem Großen errichteten Umfassungsmauer, der mächtigen Plattform, auf der sich der Tempel erhob. Ungefähr das obere Drittel der Mauer wurde von den Römern abgetragen. Ein weiteres Drittel liegt unter der Erde, sodass wir in etwa die „Mittlere Schicht“ vor Augen haben. Somit ist die Klagemauer nicht ein Teil des Tempels selbst. Der unter Salomo gebaute erste Tempel war bereits 586 vor Christus von den Babyloniern zerstört worden. Nach der Besetzung Jerusalems durch die Perser konnte an derselben Stelle um 515 v.Chr. ein schlichterer zweiter Tempel errichtet werden. König Herodes der Große begann ab 20 v.Chr mit dem prachtvollen Ausbau zur größten Kultstätte des Römerreichs. Die „Klagemauer“ wurde erst unter seinem Urenkel Herodes Agrippa II (50-70) vollendet.

Nach der Zerstörung durch Titus (70) bezog sich die jüdische Frömmigkeit auf den heiligen Fels unter dem später errichteten Felsendom. Die Ruinen des biblischen Tempels blieben bis ins vierte Jahrhundert erhalten.

Als Jerusalem 638 durch Kalif Umar von muslimischen Truppen eingenommen wurde, verstand sich die frühe muslimische Gemeinde noch nicht als dritte Glaubensgemeinschaft neben Judentum und Christentum. Vor dem Portal der christlichen Grabeskirche und auf dem seit 500 Jahren brachliegenden Tempelplatz traf man sich zum Gebet.

Nach Errichtung des oktogonalen Felsendoms im Jahr 692 unter Kalif Abd al-Malik verlagerte sich der Ort des jüdischen Gebets an die Tore des einstigen Tempelplatzes. Der Felsendom galt zeitweise allen drei Religionen als „Salomos Tempel“. Das Mauerstück an der Westseite des ehemaligen Tempelplatzes (nicht Tempels!) wird in jüdischen Quellen erstmals im 8. Jahrhundert erwähnt.

Der jüdische Pilger Petachja aus Regensburg bezeichnete 1175 den muslimischen König als einen Freund der Juden.

Während der Kreuzfahrerzeit lag der gesamte Tempelplatz von 1099 – 1187 in christlichen Händen. Als 1187 der „Tempel des Salomo“ wieder in muslimische Hände fiel, behielt er diesen Namen auch unter christlichen Pilgern.

Erst im 19. Jahrhundert (!) ging die gemeinsame Tradition der drei monotheistischen Religionen verloren. „Salomos Tempel“ galt im deutschsprachigen Bereich nunmehr als „Felsendom“.

Vom israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948 bis zur israelischen Einnahme der Altstadt Jerusalems im Zuge des Sechstagekriegs 1967 wurde das Gebiet von Jordanien kontrolliert, den Juden der Zutritt zur Klagemauer gegen Regelungen im Waffenstillstandsabkommen verwehrt. Nach dem Krieg wurden der Teil der Klagemauer, der heute sichtbar ist (57 Meter) und ein großer Platz davor – das ehemalige marokkanische Viertel (Al Buraq)- mit Bulldozzern freigelegt. Dabei wurde unter anderem eine Moschee aus dem 12. Jahrhundert zerstört.

Heute stecken vor allem Juden Gebetszettel in die Ritzen der Klagemauer. Diese Zettel werden monatlich entfernt und zusammen mit den heruntergefallenen auf dem Ölberg bestattet.

Dr. Michael Persie

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